Leseprobe - Die Midgard-Saga - Jötunheim
aus Kapitel 1
(...) „Thea! Wie geht es dir?“
„Wal-Freya“, staunte Thea und erwiderte die Umarmung.
Die Walküre betrachtete Thea eine Armlänge entfernt. Eine Weile sahen sie sich einfach nur an, froh einander wieder zu sehen. Dann fuhr Wal-Freyas Hand über den Riemen auf Theas Brust. „Du hast es bei dir, sehr schön!“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Du bist gewachsen! Gut siehst du aus.“
„Das kann ich nur erwidern. Aber du bist nicht den ganzen Weg aus Asgard gekommen, um mir das zu sagen!“, erwiderte Thea überrumpelt.
Wal-Freya schüttelte den Kopf. „Nein, gewiss nicht.“ Ihre Miene wurde für einen Augenblick von Sorge überschattet, dann lächelte sie aufmunternd. „Lass uns sitzen! Ich bin ganz scharf auf einen Kaffee.“
Thea musste lachen. „Auf einen Kaffee?“ Sie ging in die Küche, nahm eine Tasse aus dem Schrank und stellte sie unter den Auslauf der Maschine. „Ihr seid Götter. Es sollte euch irgendwie gelingen Kaffee in Asgard zu kochen.“
Lachend legte Wal-Freya einen Arm über den Kopf. „Wir reisen gerne nach Midgard und trinken Kaffee.“
„Ich hörte, der soll besonders gut in Italien sein“, erwiderte Thea keck.
Wal-Freya faltete schmunzelnd die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich im Stuhl zurück. „So, hast du das? Ich hörte, bei dir soll er auch besonders gut sein und das bei hervorragender Gesellschaft.“
Das Mahlwerk unterbrach sie. Thea wartete, bis Milch und Kaffee sich dampfend vermischten, dann nahm sie das Getränk aus der Maschine. Mit einer angedeuteten Verbeugung stellte sie die Tasse vor Wal-Freya ab. Diese bedankte sich, umfasste das Gefäß mit beiden Händen und hielt seufzend die Nase darüber.
„Dieser Geruch ist so einzigartig!“
Theas Herz klopfte gleichzeitig vor Freude und Aufregung. Erwartungsvoll nahm sie neben der Wanin Platz. Diese nippte an der Tasse und sah Thea über den Becherrand an.
„Ich wollte nach dem Rechten sehen“, erklärte sie, als Theas Blick fordernder wurde.
Thea klangen noch immer die Worte der Walküre in den Ohren, die sie damals zum Abschied gesprochen hatte und welche eine Aussicht auf ein Wiedersehen völlig unwahr-scheinlich erscheinen ließen. Sie war sich sicher, dass Wal-Freya nicht gekommen war, um einen Kaffee zu trinken. Geduldig wartete sie, bis Wal-Freya einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse genommen hatte, dann hob Thea die Augenbrauen und legte den Kopf zur Seite.
„Fenrir ist entkommen“, erklärte Wal-Freya endlich.
Theas Augen weiteten sich. „Fenrir? Aber… Oh mein Gott!“
Unwillkürlich sprang Thea auf. Fenrir, der Wolf, der sich am Weltenende von seiner Kette losriss! Der Ragnarök brachte! In einer einzigen Sekunde schossen ihr tausend Gedanken durch den Kopf.
Wal-Freya machte eine beschwichtigende Handbewegung und zog Thea zurück auf den Stuhl. „Keine Sorge, nichts ist passiert!“
Thea legte die Hände über dem Tisch zusammen und versuchte ruhig zu atmen. „Ich verstehe nicht. Fenrir frei … wie das?“
Wal-Freya schüttelte leicht den Kopf. „Niemand kann es erklären.“
„Odin?“, fragte Thea vorsichtig.
„Erfreut sich bester Gesundheit. Fenrir hat nicht versucht ihn anzugreifen. Er lief geradewegs davon.“
Thea rieb sich die Augenbrauen. „Was hat das zu bedeuten?“
„Niemand weiß es.“
„Besagt die Weissagung der Völva nicht das Ende der Welt, wenn Fenrir frei ist?“ Verlegen knetete Thea ihre Finger. „Verzeih, ich konnte mir die ganzen Lieder schon nicht merken, als ich noch unter den Wikingern lebte. Aber wenn Fenrir sich losreißt, ist die Schlacht auf dem Idafeld doch schon in vollem Gange?“
Kopfschüttelnd erwiderte Wal-Freya: „Da geben wir dir das Wissen gleich zweier Leben zurück, damit sie dir in diesem nützlich sind und jetzt sagst du mir, Fengur hat das nie gewusst? Njal etwa auch nicht?“
Thea hob in einer Geste des Bedauerns die Hände.
„Sei es drum. Die Prophezeiung scheint ohnehin hinfällig zu sein. Seit Loki sein Schicksal änderte, ist alles aus den Fugen geraten.“
„Ich werde Kyndill jetzt noch aufmerksamer bewachen“, versprach Thea, die vermutete, dass Wal-Freya aus diesem Grund nach Midgard gereist war.
Ertappt hob Wal-Freya die Augenbrauen. „Ehrlich gesagt wollte ich dich bitten, uns bei der Suche nach Fenrir zu unterstützen …“
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